Anthropozän /// Hungry Sharks /// Dschungel Wien /// 13+ /// Timon Mikocki
War es im Erdzeitalter Holozän noch das Klima, das den Planeten verändert hat, befinden wir uns nun im Anthropozän – jetzt sind wir es, die mit dem Klima auch unsere Erde verändern. Im neuen urbanen Tanztheater der Gruppe Hungry Sharks wird diese Einflussnahme sinnbildlich dargestellt: Unterschiedliche Lichtquellen stehen für Prozesse des Zugriffes auf die Natur. Leuchtstoffröhren, Taschenlampen, Lichterketten, Deckenlampen erzeugen die Sichtbarkeit der Handelnden auf der sonst dunklen Bühne. Die Menschen bemerken, dass sie das Licht verändern und ihren Handlungsspielraum erweitern können. Nach und nach werden die Lichter zum Bühnenbild. Drehender Hip-Hop, bodennaher Breakdance, Popping und Locking sind die performativen Elemente, die die sechs Männer und eine Frau in Beziehung zueinander und zu ihrer Umwelt setzen. Dabei hat die Darstellung weder Straßencharakter noch Coolness. Die Truppe zeigt auf, dass urbaner Tanz engagiert, puristisch und archaisch sein kann.
Was bedeutet das alles? Wer den Titel und die Programminformation nicht kennt, könnte vielfältige Ideen dahinter sehen. So aber assoziiert man Eisberge, Moleküle, Kraftwerke, Staudämme, den ganzen menschlichen Schlamassel der Zerstörung unserer Wohnstatt durch uns selbst, ohne dass es allzu konkrete Enstprechungen auf der Bühne dafür gibt.
Es kommt zu Helligkeit, Flackern, zu Anbahnungen, Tumulten, mal jeder für sich, dann alle gemeinsam experimentieren mit der Leuchttechnik. Kampf und Spiele wechseln sich in abrupten Szenenfolgen ab. Es folgt eine Verheerung, eine Machtergreifung. Eine kühlende Pause schafft zwischendurch Atem für das Kommende: Der Tanz ums goldene Kalb Fortschritt, Tötungen, Strom, Zerstörung. Genial geschnittene Klänge verstärken die düstere Grundatmosphäre, sie grollen, schwellen an wie das Meer, verweisen aber auch auf die Industrie. Die Lampen werden zu Schwertern, zu Ketten, zu Brücken. Star Wars und die Klimakonferenz bilden draußen den Kontext für die berauschende Katharsis drinnen.
Eine gewaltige Dynamik treibt das Stück voran. Es ist nie langweilig, sondern bis zuletzt packend. Dass dieses schwierige Thema so pulsierend und eingängig für die Zielgruppe aufbereitet werden kann, macht Lust auf mehr Stücke der Hungrigen Haie.
Künstlerische Leitung, Choreografie, Musikschnitt: Valentin „Knuffelbunt“ Alfery; Dramaturgie, Coaching: Aslı Kışlal; choreografische Assistenz: Franz Günter Moser-Kindler; Licht: Joe Albrecht; Produktionsleitung, Artwork, PR: Dusana Baltic; Tanz: Farah Deen, Valentin „Knuffelbunt“ Alfery, Patrick Gutensohn, Franz Günter Moser-Kindler, Manuel Pölzl, Moritz Steinwender, Tarek Tillian