Draining De(il)lusion
Von Dschungel Wien und Rupp/Fertschai/Khoudokormova | Dschungel Wien | 15+ | Julia Gramm
Drei junge Frauen (gespielt von Anna Rupp, Emmylou Fertschai und Anna Alexandrovna Khoudokormova) teilen sich ein Badezimmer und mit dem Publikum ihre innersten Gedanken – wohlgemerkt nicht immer die tiefsten Gedanken: Neben Erzählungen darüber, wie man etwa aus dem Weinen über die scheinbar nie enden wollenden Lockdowns gar nicht mehr herauskommt, gesellen sich Ratschläge, wie man den kuschligen Decken-Kokon des eigenen Betts möglichst nie wieder verlassen muss.
Draining De(il)lusion glänzt durch das Talent des Trios, das Tragische mit dem Komischen geschickt zu verquicken: Die Badewanne wird zum Boot und eine Plastikabdeckplanne wird durch blauen Lichteinfall und Wellenbewegungen zum schillernden Meer. Khoudokormova rahmt die Szene, als sie verträumt erklärt, dass die Welt zu bereisen schon immer ihr Wunsch gewesen sei. Die drei Schauspielerinnen stimmen eine gesummtes Schunkellied an, das jede Sprechpause der Szene wiederkehrt. Rupp durchbricht die Melodie, als sie aufspringt, sich als Gondoliere positioniert und ruft: „Schau! Wir sind in Venedig!“ Nach der kurzen Freude über den Stadtbesuch kippt die Stimmung erneut. „Ich wollte mein ganzes Leben lang 18 werden. Mitten in der Pandemie war es dann so weit“, beginnt Khoudokormova ihre Schilderungen von Erfahrungen, die Pandemie und Lockdowns verunmöglicht haben. Nach dem gesummten Intermezzo ruft Rupp noch erregter als zuvor aus: „Jö, schau, da sind ja sogar Delfine!“ Das Trio juchzt entzückt, doch die Freude hält auch dieses Mal nicht lang – und wieder das Schunkellied! Zunächst ist das Wiederkehren der Melodie noch ein Grund zu lachen, doch mit jedem erneuten Anstimmen schleichen sich mehr und mehr Disharmonien ein. Diese melodische Entwicklung unterstreicht so die Schieflage der Situation: Oberflächliche Ablenkung kann tiefersitzende Enttäuschung und Trauer über geplatzte Träume nur aufschieben, tilgen kann sie sie nicht.
An einem Punkt spielt Khoudokormova darauf an, dass man(n) noch immer davon ausgehe, dass frau keinen Humor hätte. Das Trio straft diese altbekannte Fehlannahme nicht nur Lügen; nein, das geballte komödiantische Können der Schauspielerinnen setzt ihr auch noch die Clownsperücke auf. Rupp begeistert mit ihrer slapstickesken Körperkomik, Khoudokormova mit ihrem exakten Comic Timing und Fertschai mit ihrem genialen parodistischen Vermögen. Jede Pointe sitzt: Selten habe ich ein Theaterpublikum so viel lachen gehört!
Manchmal stellt sich nur die Frage, wer lacht wann (nicht): Eigentlich wird das Theaterstück aus der Perspektive von jungen Frauen erzählt, die während der Hochzeit der Pandemie noch Jugendliche waren. Von Zeit zu Zeit ergeben sich in diesem Bild allerdings Bruchlinien: Einerseits werden Jugendliche gelegentlich als „Kinder“ bezeichnet. Alle, die mit Jugendlichen zu tun haben, wissen aber, dass sie dieses Wort als Beschreibung für sich ablehnen. Andererseits erzählen die Schauspielerinnen in einigen Passagen ironisch und überspitzt von „Wehwehchen“ des Erwachsenwerdens. Mit zeitlicher Distanz zur eigenen Teenagerzeit kann man herzlich über die Nebenwirkungen des Hormonchaos lachen, aber wenn man mittendrinnen steckt?
Rupp, Fertschai und Khoudokormova ist mit ihrem TRY OUT!-Gewinnerinnenstück eine bemerkenswerte Tragikomödie gelungen, in der sie sowohl verletzlich als auch urkomisch die Struggles des Erwachsenwerdens in der Pandemie thematisieren. Die eine oder andere Schwäche des Stücks steht in keinem Verhältnis zu den vielen Stärken der Produktion und des Teams. Ich bin gespannt auf das Nachfolgeprojekt aus dem Haus Rupp/Fertschai/Khoudokormova!
Von und mit: Anna Rupp, Emmylou Fertschai, Anna Alexandrovna Khoudokormova | Mentoring, Dramaturgie: Constance Cauers, Claudia Seigmann | Assistenz: Pia Harr | Fotos: Rainer Berson
Das Stück erzählt nicht nur aus der Hochzeit der Jugend, ich befinde mich in genau dieser und daraus mache ich auch nie ein Geheimnis. In den ersten 10 Minuten erzähle ich, dass ich 18 Jahre alt bin, ich bin also faktisch ein Teenager. Ich war 2020 15/16 Jahre alt und in dieser Zeit entstanden auch die meisten meiner Texte, die sich eben um genau das Schüler*in sein in einer Pandemie drehen. Das Schicksal welches ich schildere, ist mein eigenes und mit etwas Recherche wäre es wohl auch nicht so schwer gewesen das herauszufinden. Ich muss aber ehrlich sagen, dass es wirklich etwas Neues ist dass mir mal nicht gesagt wird dass ich zu jung bin um eine Situation zu verstehen (dass ich ja noch ein Kind bin), sondern anscheinend ja gar kein Teenager sein kann, weil ich mich nicht so ausdrücke wie einer, würde mich freuen wenn Sie mich da aufklären wie man das als Teenager richtig machen soll. Wer unterschätzt hier junge Leute also wirklich? Mit freundlichen Grüßen
Emmylou Fertschai
Hallo Emmylou Fertschai,
als Kritikerin ist es nicht meine Aufgabe, Künstler*innen Verbesserungsvorschläge für ihre Werke zu geben, sondern das Gesehene möglichst differenziert zu besprechen, sodass meine Leser*innen einen guten Einblick in die jeweilige Produktion bekommen. Gleichzeitig ist jede Kritik immer auch ein Meinungstext: Wie jeder andere Mensch auch habe ich Vorerfahrungen gemacht, die meine Sicht auf die Welt (bewusst und unbewusst) prägen. Dass Sie in Ihrem Leben andere Erfahrungen mit Jugendlichen und als Jugendliche gemacht haben als ich und deshalb Ihre Position von meiner abweicht, wundert mich also nicht.
Liebe Grüße
Julia Gramm