Iwein

von makemake produktionen, Adaption von Hartmann von Aues Iwein /// Dschungel Wien /// 10+ /// Julia Gramm

In ihrem neuen Projekt haben sich makemake produktionen Hartmann von Aues höfischen Roman Iwein angenommen. Iwein wird dem Publikum als arglose, mutige Person vorgestellt, die immerzu auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer ist. Der Nervenkitzel ist Iweins Motivation, alles andere verblast. Durch das daraus resultierende Handeln verliert die Figur das Vertrauen der Ehepartnerin Laudine und die ritterliche Ehre. Ganz unten angekommen, erkennt Iwein schließlich, dass man nicht um des Kampfes Willen kämpfen sollte, sondern die eigene Kraft dazu nutzen muss, um anderen zu helfen. Mit einer Held*innentat gewinnt Iwein Ehre und die Liebe Laudines zurück. Hervorzuheben ist das Ende: Die Schauspielerinnen fallen aus ihren Rollen und sprechen das Publikum direkt an; ob die zwei ein Happy Ending hatten, wisse man nicht, denn hier höre Hartmann von Aues Erzählung auf.

Trotz wesentlicher Kürzung und Vereinfachung bleibt die Handlung in Anita Bucharts Bearbeitung komplex. Hinzu kommt der gehobene Sprachstil, der von der blumigen Bildsprache der mittelhochdeutschen Literatur inspiriert und in Versen verfasst ist. Weitreichende Sprachkenntnisse sind somit ein Muss, um dem textlastigen Stück folgen zu können. Die Geschlechterrollen der Figuren sind verändert: Die zwei weiblichen Figuren Laudine und Lunete sind nicht mehr „bloß“ Burgherrin und ihre Vertraute, sondern auch Ritterinnen. Iwein werden keine Pronomen zugeschrieben, weshalb das Publikum für sich selbst überlegen und entscheiden kann: Ist Iwein weiblich, männlich, non-binär? Und: Ist das wichtig?

Gespielt wird zu dritt: Michèle Rohrbach (Iwein), Martina Rösler (u.a. Laudine) und Bettina Schwarz (u.a. Lunete) sind präzise auf einander abgestimmt und jede für sich brilliant. Das Stück wird von Simon Dietersdorfers vordergründig moderner, elektronischer Musik untermalt, die beim genaueren Hinhören immer wieder Referenzen auf historisch konnotierte Klänge enthält. An einer Stelle hört man eine Gesangsphrase, die an gregorianischen Choral erinnert, an anderen Stelle Trompetenfanfaren. Auch Instrumente wie Cembalo, Kirchenorgel oder Mandoline, sind zu hören.

Das Highlight des Bühnenbilds ist ein Vorhang aus bodenlangen Metallketten. Optisch eine Hommage an ein Kettenhemd, findet der Vorhang sowohl für die Bühnengestaltung als auch im Schauspiel diverse Verwendungen. Durch den bedachten Einsatz von Licht werden mit ihm immer wieder neue Raumverhältnisse geschaffen: In Richtung des Besucher*innenraums beleuchtet werden die einzelnen Ketten zum Gitter einer Gefängniszelle, während sie zu einem späteren Zeitpunkt wie eine massive Mauer wirken. Als die Schauspielerinnen Textilarbeiter*innen, die von einem bösen Riesen eingesperrt wurden, mimen, fädeln sie Kettenstränge im Wellenmuster auf ihre Arme auf oder flechten Strähnen untereinander, um ihr unermüdliches Schuften darzustellen.

Iwein glänzt durch das konsequente Verbinden des alten Stoffs mit modernen Elementen, sodass ein in sich beeindruckend rundes Stück entsteht. Dank dieser Arbeitsweise wird die knapp 800 Jahre alte Geschichte zugänglich gemacht und ihre Aussage gehört: Es gibt Dinge, für die es sich zu kämpfen lohnt.

Konzept: makemake produktionen, Jeanne Werner | Textfassung, Dramaturgie: Anita Buchart | Frei nach Hartmann von Aue in der Übersetzung von Rüdiger Krohn | Rechte: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH | Komposition: Simon Dietersdorfer | Ausstattung: Nanna Neudeck | Oeil Extérieur: Laura Andreß | Produktion: Julia Haas | Kommunikation: Birgit Schachner | Regieassistenz: Lisanne Berton | Darstellerinnen: Michèle Rohrbach, Martina Rösler, Bettina Schwarz

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