Südpol. Windstill.

Armela Madreiter | SAND-PRODUCTION | Dschungel Wien | 9+ | Lisa Müller

Vor der Kulisse einer in weiß getauchten Welt folgen wir der 10-jährigen Ida. Ihr großes Ziel: Polarforscherin werden. Immer mit dabei ist der berühmte Polarforscher Robert Falcon Scott. (Bei dem es sich natürlich um einen imaginären Freund handelt.) Von ihm lernt sie alles, was sie zum Überleben in der Eiseskälte braucht. Zum Beispiel wie man Feuer in einer alten Blechdose macht. Dafür wird tatsächlich ein kleines Feuer auf der Bühne entzündet. Gemeinsam navigieren sie auch das Leben zu Hause; sie zählen Konservendosen, spielen Kreuzworträtsel und führen penibel Tagebuch über die Stimmung von Idas Mutter. Die alles bestimmende Frage: Ist es ein Nord- oder ein Südpoltag? Denn Mama ist psychisch krank und genauso extrem wie die beiden Pole. Die Nordpolmutter verbringt den ganzen Tag am Sofa, der Kühlschrank ist leer. Die Südpolmutter ist eine fröhliche Mutter, die kocht und Zeit mit ihrer Tochter verbringt. Manchmal ziehen auch seltsame Männer in die Wohnung ein, die Ida immer ein wenig an Karpfen erinnern. Zu allem Überfluss hängt nun das kommende Gespräch, das Idas Lehrerin mit ihrer Mutter führen möchte, wie ein Damoklesschwert über ihrem Kopf. Was, wenn es an diesem Tag nur eine Nordpolmutter gibt? Zum Glück lernt sie die etwas ältere Amrei kennen, die selber Astronomin werden möchte. In ihr findet Ida eine Freundin, der sie ihre Probleme anvertrauen kann.

Armela Madreiters Stück zeigt behutsam und eindrücklich die Lebensrealität vieler Kinder. Die psychische Erkrankung eines Elternteils in einem Stück für junge Kinder aufzuarbeiten, ist ein schwieriges Unterfangen, das hier aber gelingt. Mit der Metapher von Süd- und Nordpol, wird die bipolare Störung dem jungen Publikum aus Sicht einer kindlichen Protagonistin zugänglich gemacht, ohne zu erdrücken. Besonders beeindruckend ist, wie sensibel und doch gleichzeitig direkt die Thematik bearbeitet wird. Nicht zuletzt ist dies der darstellerischen Leistung des Ensembles geschuldet. Johanna Wolff spielt als Ida ein stilles und unsicheres Kind. In einer so extremen Umgebung ist sie gezwungen sich anzupassen und möglichst klein zu machen. Aber Neugierde und Wissensdurst treiben sie an, manchmal platzen die Worte nur so aus ihr heraus. Florian Tröbinger glänzt als onkelhafter und humorvoller Robert Falcon Scott. Shahrzad Nazarpour tritt als patzige, aber doch sehr liebenswerte Amrei auf.

Das Bühnenbild und die Kostüme bleiben zweckmäßig, nüchtern und verleihen einen Hauch Work-Shop Flair. Das Highlight aber sind die Karpfenmasken, in denen die Darsteller als die dubiosen Karpfenmänner tanzen.

Der Wendepunkt der Handlung ist als Ida plötzlich begreift, dass Nordpol- und Südpolmutter die gleiche Person sind. Sie scheint sehr schockiert darüber zu sein, dass sie nicht zwei verschiedene Mütter hat. Das überrascht auch das Publikum. Es hätte vorab ausdrücklicher etabliert werden müssen, dass Ida nicht versteht, dass es sich dabei um die gleiche Person handelt. Da dies nicht geschehen ist, geht die emotionale Wirkung leider verloren.

Glücklicherweise zwing das Stück der Handlung kein klassisches Happy End auf, sondern bleibt hoffnungsvoll, aber realistisch. Idas Mama wird nicht auf wundersame Weise von ihrer Krankheit geheilt. Sie ist aber in der Lage, das gefürchtete Gespräch mit der Lehrerin zu führen. Diese will Ida auf eine neue Schule schicken, um ihre Begabungen zu fördern. Der emotionale Höhepunkt des Stücks ist, als sich Scott von Ida verabschiedet. Sie hat eine reale Freundin in Amrei gefunden und braucht ihn nicht mehr länger.

Trotzdem bereitet der Abschluss des Stücks ziemliches Bauchweh. Es ist schade, dass Ida nicht die Hilfe bekommt, die sie eigentlich braucht. Zwar hat Ida endlich eine Freundin gefunden, es handelt sich dabei aber lediglich um eine Verbesserung ihrer Situation, nicht um eine Lösung. Es wäre wichtig gewesen dem jungen Publikum zu zeigen, dass sie sich einer erwachsenen Person anvertrauen kann. Dass die beiden Kinder letztendlich allein mit der Bewältigung des Problems sind, scheint nicht die richtige Auflösung der Handlung zu sein. Das Stück endet damit, dass Ida akzeptiert, dass es gute und schlechte Tage gibt. Ob das die richtige Botschaft ist?

AUTORIN: Armela Madreiter | REGIE: Sandra Schüddekopf | BÜHNE + PROJEKTION: Vanessa Eder-Messutat | BÜHNENHOSPITANZ: Isabella Tritthart | KOSTÜME: Verena Geier | REGIEASSISTENZ: Hannah Zauner | Ida: Johanna Wolff | Robert Falcon Scott: Florian Tröbinger | Amrei: Shahrzad Nazarpour

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