Wiener Klassenzimmertheater: Ein Zniachtl-Das Leben von Erich Finsches
von Dana Csapo und Andrzej Jaślikowski | Dschungel | 13+ | Lisa Müller
„1938“ steht in weißer Kreide auf schwarzem Boden geschrieben. Es ist das Jahr, in dem sich das Leben von Erich Finsches für immer verändert. Mit nur zehn Jahren wird er zum ersten Mal festgenommen und brutal zusammengeschlagen. Die folgenden Jahre sind geprägt von Flucht und Zwangsarbeit. Eindrucksvoll und authentisch erzählt Andrzej Jaślikowski die wahre Lebensgeschichte eines „Zniachtls“, wie Erich sich selbst nennt: klein, schmal, unscheinbar – doch ausgestattet mit einem unglaublichen Überlebenswillen trotzt er dem NS-Regime. Im Laufe der Kriegsjahre wird er zum Verfolgten, Widerstandskämpfer und Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz. Als er mit Kriegsende befreit wird, ist Erich gerade einmal 16 Jahre alt.
Eingebettet ist die Erzählung in eine knapp umrissene Rahmenhandlung, die die erschreckende Aktualität der Thematik unterstreicht: Ein junger Mann (Andrzej Jaślikowski beobachtet mit Sorge, wie sein jüngerer Bruder die NS-Zeit glorifiziert. Noch beunruhigender ist für ihn der weltweit zunehmende Rechtsruck, den er kaum begreifen kann. Zu eindringlich hallt in ihm die Geschichte seines Nachbarn Erich Finsches nach.
Er beginnt, Erichs Erlebnisse zu erzählen. Die Atmosphäre ist elektrisierend, man wagt kaum zu atmen. Die Performance ist schlicht gehalten; das Erzählte steht im Mittelpunkt. Jede zusätzliche Requisite wäre überflüssig. Nur ein Stück Kreide liegt auf dem Boden, mit dem der Performer beginnt die erste Jahreszahl zu ergänzen – ein Kriegsjahr nach dem anderen. Nach und nach verschwimmen die Grenzen zwischen Erzähler und Figur – das Publikum hat das Gefühl, Erich selbst stünde leibhaftig vor ihnen. Jaślikowski zeichnet mit liebevoll und authentisch das Bild eines schlagfertigen wiener Arbeiterkinds; Ausdruck und Körpersprache treffen dabei den Nagel auf den Kopf.
Jaślikowski versucht immer wieder, das Publikum durch Fragen einzubeziehen. Doch die Anspannung im Raum ist greifbar – kaum jemand wagt, zu antworten. Da das Stück als Klassenraumtheater konzipiert ist und ursprünglich für Aufführungen in echten Klassenzimmern gedacht war, lässt sich vermuten, dass die Publikumsinteraktion in diesem Setting natürlicher stattgefunden hätte.
„Ein Zniachtl“ ist eine tiefgehende, erschütternde und zutiefst persönliche Auseinandersetzung mit einem Teil der österreichischen Geschichte, der niemals in Vergessenheit geraten darf. Dieses Stück muss gesehen werden.
REGIE: Dana Csapo | THEATERPÄDAGOGIK: Caroline Docar | SCHAUSPIEL: Andrzej Jaślikowski