/// Körperverstand /// Tanztheater /// Dschungel Wien /// 14+ /// Timon Mikocki
Nach KörperVerstand am Anfang des Jahres zeigt die gleichnamige Kompanie ihr zweites Stück am Ende. Die Gemeinschaftsproduktion von Steffi Jöris und Moritz Lembert lässt eine eigene Handschrift erkennen.
Die Kulisse: Kühles skandinavisches Design, 2 Lampen, 2 Stühle, 2 Sessel. Die Protagonisten: Zwei junge Männer in weißen Hemden. Aus dem Off fordert sie eine weibliche Stimme mit englischen Ein-Verb-Befehlen zur Bewegung auf. Das Über-Ich leitet seine Kinder beim Entwickeln an. Der stumme Tanz gehorcht klar unterteilten zeitlichen Abfolgen, die Körper wirbeln synchron, gegeneinander, ineinander und aufeinander zu, tragen Kämpfe und Gemeinsamkeiten aus. Und performen so die kindliche Entwicklung im Laufe eines Lebens: Observe! Interact! Repeat! Connect!
Moritz Lembert und Kirin España zeigen gewaltiges Körperkino, Elemente von Breakdance, dynamische Sequenzen, konfrontative und affirmative Spiele, punktgenaue Interaktionen mit den Möbeln und den wenigen Props und atemberaubende akrobatische Kraftausübungen. Imitation des anderen, Aggression, aber auch ein erfrischender Humor beleben dieses durch und durch psychologische Duett: Play! Change!
Bis die in Bewegungen gefasste Entwicklung aus dem Ruder läuft, die Leichtigkeit kippt, sich Neurosen und Störungen zeigen und die von der elektronischen Soundkulisse getragene Atmosphäre ins Düstere mutiert. Dann nämlich, wenn die Selbstverständlichkeit und das eigene Denken aufhören und Äußeres zum Antrieb wird. Wenn Hybris und der Wille zum Eingriff Überhand nehmen, Sand ins Getriebe der Natürlichkeit gestreut wird. Zu diesem Zeitpunkt ist das stylishe Stück unangenehm störrisch und die Musik klirrt. Disappear! Try! Repeat! Um dann einen Punkt zu machen.
Auch wenn die Allegorie ohne das Programmheft vielleicht gar nicht bemerkt würde: Unbedingte Empfehlung, vor allem für Erwachsene: Ein ästhetisiertes Konstrukt, eine packende Anschauung der psychologischen Reifung und eine reduzierte und wirkmächtige Kritik an den Schlagseiten des Erwachsenwerdens.
Regie, Choreografie: Moritz Lembert, Steffi Jöris; Text: Moritz Lembert, Anna-Luise Braune; Dramaturgie: Cornelia Voglmayr; Komposition, Musik: Markus Jakisic; Stimme: Rosa Braber; Produktion: Steffi Jöris; Choreografische Mitarbeit, Tanz: Moritz Lembert, Kirin España