Der Ursprung der Welt
makemake │ Dschungel Wien │ 16+ │ Anna Bauer
Es stürmt und schneit. Der Wind pfeift. Wie für eine Weltraum-Expedition ausgerüstet, versuchen die beiden Männer (Simon Dietersdorfer, Martin Hemmer) einen Berg zu erklimmen und erreichen schließlich nicht nur die Bergspitze, sondern auch die ultimative Erleuchtung. Da ist sie ja, die Klitoris. Die Wunderkerzenfunken sprühen, die Männer sind beeindruckt. Technosounds treffen auf Schlagzeugbeats. Spoken Word auf Rap. Der Boden vibriert, die Musik nimmt nicht nur den ganzen Raum, sondern gar den ganzen Körper ein.
In sketchartigen Episoden unternehmen Simon Dietersdorfer und Martin Hemmer in „Der Ursprung der Welt“ einen Streifzug durch die Kulturgeschichte der Vulva und des weiblichen Körpers, thematisieren Geschlechtersysteme und patriarchale Verstrickungen. Ausgangspunkt stellt die gleichnamige Graphic Novel von Liv Strömquvist dar. Die Adaption des Theaterkollektivs makemake changiert darauf basierend zwischen einer ersten Heranführung an feministische Themen und einer doch recht anspruchsvollen Erwartungshaltung an das Theaterpublikum. Zu Recht.
Theater darf, ja geradezu muss, unangenehm sein und makemake gelingt dieser schmale Balanceakt zwischen Aufruhr und Unterhaltung meisterlich. Die Scheinwerfer blitzen hell, zu hell? Der Bass dröhnt laut, zu laut? Ein Bleistift als Phallus-Symbol. Ein Folikel, der wie ein Ballon von der Decke baumelt. Das Aufbegehren gegen das Patriachat ist in dieser Produktion selbst in der Subtilität eingeschrieben, einem Puzzle-Spiel, einer Schnitzeljagd gleich. Gleichzeitig ist es beinahe erschreckend, wie revolutionär es ist, wenn auf im Jugendtheater Begriffe wie Orgasmus, Klitoris oder Penis ohne Zögern oder Zaudern in den Mund genommen werden. Oder Feminismus von Männer thematisiert wird.
Vielleicht bleibt aber auch gerade deshalb ein viel zu bitterer Beigeschmack, wenn Simon Dietersdorfer und Martin Hemmer zu rechtfertigen versuchen, warum ausgerechnet zwei Männer in einem Stück über Frauen die einzigen Bühnenrollen innehaben. Das gelingt vielleicht gerade noch so, aber spätestens als einer der Schauspieler „I have fantasies“ deklariert und dabei nicht auf die Frage von sexuellem Begehren und dem Umgang damit eingeht, sondern die Szene in eine männliche Selbstbemitleidung abdriftet (Man(n) hat eben Triebe), bekommt der Versuch einer feministischen Performance einen Knacks. Das ist unglaubliche schade. Nicht nur, weil die (österreichische) Bühne eine differenzierte Auseinandersetzung mit sexuellem Begehren gebrauchen könnte, sondern auch, weil „Ursprung der Welt“ eigentlich wirklich gut ist. Vielleicht nur hätte ein bisschen mehr Tiefe statt möglichst breitem Themenspektrum an manchen Stellen nicht geschadet.
Diskutieren jedenfalls, kann man über „Ursprung der Welt“ ausgiebig. Auch das macht ein empfehlenswertes Stück aus.
Konzept: makemake Produktion │Komposition, Stückentwicklung, Performance: Simon Dietersdorfer, Martin Hemmer │ Textfassung, Dramaturgie: Anita Buchart │ Choreografie: Martina Rösler │ Ausstattung: Flora Besenbäck, Ida Bekič │ Endregie: Asli Kişlal │ Produktion: Julia Haas │ Kommunikation: Birgit Schachner │ Regieassistenz: Michèle Tacke │ Licht: Hannes Röbisch │ Tontechnik: Christian Hölzel │
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