„Achtung, Performance!“

Eine Standortbeschreibung nahm der Dschungel mit seinem Schwerpunkt „Achtung, Performance!“ vor. Zeitgemäße Formen, Publikumsinteraktion und Flüchtigkeit kennzeichneten die Neuproduktionen. /// Timon Mikocki ///

Die assoziativen Szenen einer Performance sind, wie schon in der Podiumsdiskussion zur Einleitung des Schwerpunkts festgestellt wurde, für junges Publikum gut geeignet, weil die Darstellungen direkter als gewöhnliches Theater ankommen. Dass die Offenheit der Form meist keinen langen Nachhall erzeugt, muss nicht unbedingt als negativ gesehen werden.

Los ging es Ende März mit einer Reihe von Miniaturperformances bei der Auftaktparty. In abwechselnder Reihenfolge bekam man unmittelbare Spiele zu sehr unterschiedlichen Themen zu sehen, jeweils nur ein paar Minuten, dazwischen wollte getanzt werden. Die Kurzformen waren schnell vorbei, hinterließen aber zumindest eine Idee, eine Stoßrichtung, einen prägnanten Eindruck dessen, was im Verlauf des Schwerpunkts zu erwarten war.

Mit seiner unkonventionellen Darstellungsweise konnte das Zwei-Personen-Stück Schneewittchen Backstage überraschen. Das Kollektiv TWOF2 trägt seine Arbeit dorthin, wo Performance auch hingehört: in den öffentlichen Raum. Per Kopfhörer – zugleich gemeinschaftlich und doch exklusiv – verfolgt man im Freien, wie die rot-weiß-schwarze Märchenfigur (Maria Spanring) im Inneren einer überdimensionalen Schneekugel ihre Show vorführt. Ihr einziger Begleiter ist ein bärtiger, langhaariger Zwerg im Anzug (Giovanni Jussi), der elektronische Musik erzeugt und als Showmaster assistiert. Es geht natürlich um Fragen der Schönheit, das Publikum (12+) wird dazu ermutigt, das Thema in modernen Zeiten zu reflektieren und vorherrschende Meinungen zu hinterfragen. Schneewittchen dient dabei als unnahbare Projektionsfläche. „Meine Wangen sind so fragil wie Zigarettenpapier“, haucht die Schöne herunter, um damit die Deutungsfreiheit von Schönheit zu betonen. Die glatte Ästhetik ist verführend. Die aktionistisch vorgebrachte Message, die das Märchen gegen den Strich bürstet, lautet „Ich kann sein, wer ich will“. Wenn man ein Zwerg ist, der Süßigkeiten liebt, vergleicht man Mädchen mit Marshmallows: Sie sind süß und klebrig und rosig weich. Schönheit wird konstruiert. Und sie kann leider auch zum Fluch werden, wie das Schneewittchen beklagt. Die Modeschau mit Zwerg besteht aus lose zusammengesetzten verbalen und musikalischen Versatzstücken, die nur ausgewählte Motive des Märchens filtrieren und zeitgemäß weiterspinnen, ohne aber dabei greifbares Neues zu vermitteln. Insgesamt ist man in diesem innovativen Rahmen flüchtig von konzeptuellen Ideen, Halbsätzen und der Stimme der Schönheit beglückt, das Ganze ist aber zu diffus, um eine einschlagende Neuinterpretation des Märchens zu sein. Vielleicht ist es aber auch nicht als solche gedacht.

Thematisch verschrobener und düsterer, aber auch gefälliger, was die Umsetzungsform betrifft, ging es beim Orakel von schallundrauch zu. Vom dunklen Theatersaal aus wird man hineingezogen in eine Welt aus Mystik, Vorhersehung, Skurrilität und Alchemie. Auch hier unterhält ein hierarchisch klar unterschiedenes Zweiergespann: Janina Sollmann gibt das mäandernde Orakel Friederike von Delphi, das sich biegt und verrenkt und manchmal ein wenig die Mimik übertreibt. Laurentius Rainer ist Assistent, Schamane und Ritter – er sorgt für die musikalische Untermalung und dient auch als Dialogpartner. Die einzelnen Sequenzen sind fantasievolle, komisch-ironische Mini-Performances, deren Zusammenhang nicht klar wird, das haben Performances scheinbar so an sich. Mit allerlei Hilfsmitteln werden die Themen Wissen/Nichtwissen, der Mythos von Ödipus, Todeserfahrungen und weitere Erlebnisse an den Rändern der Wirklichkeit vorgespielt. Wie schön wäre es, immer eine Antwort auf seine Fragen zu haben! Alles ist sehr illusionsreich und vielseitig und für junge Menschen (8+) sicher fesselnd. Besonders die stillen Momente überzeugen. Öfters kommt man sich allerdings auch vor wie auf einem Kindergeburtstag, samt Längen zwischen den einzelnen Spielen. Wenn jedoch am Ende eine menschgroße Forelle, das Orakel und der Tod zusammen tanzen, ist man surrealistisch amüsiert und verlässt das Theater mit einem Lächeln. Kurzweilige Unterhaltung, die an die unbewussten Bilder rührt, aber nicht nachhaltig im Gedächtnis bleibt.

Ziemlich große Kunst ist hingegen Die Wetterküche im Labor. Mit hohem körperlichem Aufwand stellt die Gruppe lottaleben Verbindungen zwischen Wetterphänomenen und dem menschlichen Gefühlsspektrum her. Mach ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter! Wetterkapriolen entwickeln sich zu Freudentänzen. Das Thema bietet viel Raum für sinnliche Eindrücke. Wind, Regen und sogar der Geruch des Waldes werden einfach erfahrbar gemacht. Die mittige Bühne wird von drei Seiten beobachtet, das neue Publikumserlebnis bietet interessante, sehr individuelle Perspektiven und man fühlt sich als Teil der Versuchsanordnungen. Komik entsteht durch den Bruch der formalen Strenge der Wissenschaft mit der Spielfreude der Darstellung. Herrlich absurd ist es beispielsweise, wenn die verschiedenen Wolkenarten personifiziert werden: wabernd oder abgehoben, regenvoll oder sphärisch. Außerdem traut man sich hier, zu schwitzen und nass zu werden, Extreme des Ausdrucksmittels Körper werden ausgetestet. Vier Leute drängen sich in einen Plexiglas-Kubus und erzeugen so ihr eigenes Mikroklima, später stellen zwei mit ulkigen Kostümen Blitz und Donner dar: Der an Erwin Wurms fetten Mann erinnernde Donner will auch einmal zuerst kommen, zu flink ist aber der grelldünne Blitz. Ziemlich gut ist die Idee, Wetter und Gefühle verschränkt zu behandeln, erfrischend dynamisch die Durchführung und lehrreich abseits der Schule ist die Performance auch noch. Das Ensemble ist vielseitig talentiert und die Aufmerksamkeit reißt eigentlich nie ab, bis die singenden Schauspieler am Ende von Ukulelenklängen begleitet ausziehen.

Direkte Theatererfahrung anhand bekannter Begebenheiten, eingekleidet in leicht verdauliche Kleinstnarrative, vorgebracht mit dem Körper als basalem Zentrum der Vermittlung – so funktionieren Performances auch für Kinder. Sie sind einfach zugänglich und lassen dafür auch die großen Bewegungen und Bedeutungen vermissen, was aber in einer überfrachteten Welt sicher nicht der falsche Ansatz ist. Zu loben sind an den Neuproduktionen besonders die ungewohnten Bühnenkonstellationen. Die drei Arbeiten sind couragierte Versuche, Performance für alle Sinne zu bieten und verflechten interdisziplinär Tanz, Theater und Musik. Vor allem aber trauen sie jungem Publikum zu, anspruchsvolle Themen mithilfe lebhafter und moderner Darstellungen zu durchdenken. Das Theaterhaus Dschungel steht in Wien für Innovationen und abwechslungsreiche Produktionen am Puls der Zeit. Mit dem Performance-Schwerpunkt, der für Österreich einzigartig ist, wurde diese Agenda besonders verdeutlicht. Die unermüdliche Arbeit an Zugängen, über die Kinder das Leben durch das Theater – und durch Performances! – erfahren können, verdient Anerkennung.

 

Ein Gedanke zu „Performance-Schwerpunkt im Dschungel Wien 2014“

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