So nah wie nie zuvor
Von Lazuz | Dschungel Wien | 10+ | Lisa Müller
Es geht drunter und drüber: Schleier wehen, Schuhe fliegen und mitten im Klamottenchaos sitzen Elda Gallo und Jolyane Langlois. Aber von Anfang an. Jeden Tag begegnen wir Menschen. Wie nehmen wir uns gegenseitig wahr und wie können wir bewusst in diesen Prozess von Begegnung und Wahrnehmung eingreifen? Das Spiel von Selbstdarstellung, Kontaktaufnahme und Veränderung wird quirlig und energiegeladen als interaktive Tanzperformance auf die Bühne gebracht. Die beiden Darstellerinnen schlüpfen beeindruckend schnell in verschiedene Kostüme und zeigen, wie sehr der erste Eindruck, den wir von einer Person haben, von Äußerlichkeiten abhängt: eine Sonnenbrille hier, hohe Schuhe da und schon wirken die Tänzerinnen wie verwandelt. Sie posieren, präsentieren sich und pfeffern die Accessoires anschließend demonstrativ in die Ecke. Auf der anfänglich weißen, leeren Bühne sammelt sich allmählich ein ansehnlicher Kleiderhaufen an. Dann verschwinden die beiden Protagonistinnen hinter weißen Vorhängen und kommen als neue Charaktere wieder zum Vorschein, diesmal in legeren Sportklamotten und lässigen Baseballkappen. So folgt eine Metamorphose auf die nächste, während Tücher, T-Shirts und Co durch die Luft segeln. Aber beim bloßen Verkleiden bleibt es nicht. Das Zusammenspiel von Wahrnehmung und Begegnung wird aktiv mit dem Publikum fortgeführt: ein Sprung und schon streifen die Darstellerinnen durch die Zuschauerreihen. Mit charmanten Komplimenten wie „Ich mag dein Lächeln. Ich glaube, dass du ein glücklicher Mensch bist“ oder „Ich mag deinen Pulli. Ich glaube, dass du gerne liest.“ wird eine positive Beziehung zum Publikum hergestellt – so gelingt es, dem einen oder anderen ein Lächeln zu entlocken.
Das simple Konzept profitiert von den sympathischen Darstellerinnen, die mit viel Elan und Liebenswürdigkeit die Menge für sich einnehmen. Daher kann man dem Stück auch verzeihen, dass es etwas unausgereift wirkt – wie eine schöne Idee, die nicht zu Ende gedacht wurde und wohl noch ein wenig in den Kinderschuhen steckt. Es fehlt der rote Faden, der das Stück zusammenhält und eine inhaltliche Einordnung ermöglicht. Ohne die Beschreibung im Programmheftchen bleibt die Aussage des Stücks nicht wirklich fassbar. Nichtsdestotrotz macht das Stück seinem Namen alle Ehre – Schauspieler und Publikum waren sich für einen Moment so nah wie nie zuvor.
Konzept, Choreografie: Gat Goodovitch Pletzer | Tanz: Elda Gallo, Jolyane Langlois | Dramaturgie: Sanja Tropp Frühwald | Assistenz: Anna Possarnig, Stefan Pauser | Kostüme: Gudrun Lenk-Wane | Mit Unterstützung von Generator und Dschungel Wien und Austrian-American partnership fund