/// Inklusives Tanztheater /// Ich bin O.K. /// Dschungel Wien /// 12+ /// Timon Mikocki 

Die Tanzcompany „Ich bin O.K.“ lässt in ihrem inklusiven Stück orientalisches Märchen auf bittere Realität treffen. Der biografische Hintergrund: Die Familie Chopra gehört der Sikh-Religion an und wird in ihrer Heimat nicht akzeptiert. Jasmeet ist das erste Kind und Pal, auf dem die Hoffnung auf einen neuen Stammeshalter liegt, kommt mit Trisomie 21 zur Welt. Die Familie wird doppelt diskriminiert und muss flüchten. In Österreich findet Pal durch seine Lebensfreude und seine Tanzleidenschaft besser Anschluss und wird zum Star, während seine Schwester Jasmeet, von der er das Tanzen gelernt hat, mit ihrer Rolle kämpft. Soweit zum komplexen Hintergrund. Im Dschungel wird diese Geschichte nun unter Einbeziehung von mehreren anderen AkteurInnen und TänzerInnen mit und ohne Lernschwerigkeiten als betörendes Tanzstück erzählt.

Was hier vor allem befängt, sind die indische Musik und der kunstvolle, ausdrucksstarke Tanz, so authentisch und klassisch „anders“, dass es besondere Freude macht. Speziell der Einsatz der langen, bunten Tücher vermittelt gut die Symbolik des Abends. Einmal verbindend, erweiternd, luftig und fliegend und dann cocoonartig abschließend, verdunkelnd und isolierend sind sie zugleich Bindeglied und Mauer, Turbanschmuck und normatives Stigma. Auf dramaturgischer Ebene einfach und linear mit vielen guten Regieeinfällen in übersichtlichen Abschnitten erzählt, ist die inhaltliche Konstruktion des Stücks auf den zweiten Blick raffinierter: Denn die beiden HauptdarstellerInnen tanzen ihre eigene, von Verfolgung, Scham, Unterdrückung, Flucht und Emanzipation geprägte Biografie als sinnliche Choreografie auf der Bühne. Die thematische Doppelbödigkeit wird durch die Anteilnahme der anderen SchauspielerInnen noch um eine Ebene verstärkt. Interessante Momente ergeben sich vor allem dann, wenn Perspektiven gewechselt werden. Wenn zum Beispiel die Gehänselten in die Rolle der Aggressoren schlüpfen oder die europäische Tänzerin die charakteristischen orientalischen Sequenzen performt. Die bogenförmigen Handkreise und sprunghaften Biegungen der Wirbelsäule ermuntern. Und das diese Bilder begleitende und antreibende Live-Spiel mit Tabla, Gesang und Sitar, akkurat, schnell, rhythmisch.

Der Star des Abends ist Pal, der gemobbte und sich in Spiralen befreiende, dabei immer strahlende Bruder der schönen Jasmeet, welche sich voller Hingabe um ihn kümmert. Die beiden spielen einander gut zu; man merkt, dass sie Geschwister sind und ihr lebenswichtiges Vertrauen zueinander wird auch im Tanz deutlich.

Hochintelligent ist dieser Stoff ans Theater gebracht worden. Autodiegese in Reinform kann man das nennen, ein Brennglas der globalisierten Realität. Die Diversität und Inklusion, die für das subjektive Schicksal der HauptdarstellerInnen so bedeutend sind, führen am Theater zu einem spiegelneuronenbefeuernden und dabei unterhaltsamen Abend. Wer sich von der berührenden und erhebenden Darstellung zu sehr in den wohlig träumerischen Zustand des Miterlebens begibt, wird am Ende aber wieder an den Boden der Realität gedrückt und in seiner eigenen Haltung herausgefordert: Da heißt es nämlich, das Pals Verbleib in Österreich wiederum von behördlichen Entscheidungen abhängig und daher ungewiss ist.

Das Tanzstück zeigt, wie eine komplexe und politische Biografie sinnlich und mitreißend und inklusiv auf die Bühne gebracht werden kann, ohne sich in Mitleid zu verlieren. Das wunderbare Produkt dieser Anstrengungen vermittelt leichtfüßig eine ernste, aus mehreren disparaten Fäden zusammengeknüpfte Botschaft: Dass gesellschaftliche Normen, egal ob hier oder woanders, egal ob diskursiv vermittelt oder am eigenen Leib erfahren, egal auch ob alt oder neu, gewaltvolle Schranken setzen, dass es aber auch möglich ist, seine Geschichte künstlerisch und allumfassend hilfreich zu verarbeiten. Anfangen muss man dabei mit seinen Nachbarn, mit seinen Nächsten.

TänzerInnen: Jasmeet Kaur Lamba, Pal Singh Chopra, Niklas Kern, Johanna Ortmayr, Marina Rützler, Alexander Stuchlik; Zweitbesetzung: Felix Röper, Sophie Waldstein; Choreografie: Hana Zanin Pauknerová, Attila Zanin; Dramaturgie Verena Kiegerl

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