/// Koproduktion von makemake und Kosmos Theater /// Sara Ostertag /// 16+ /// Timon Mikocki
Einen Text von Gesine Schmidt illustrierend, findet Sara Ostertag in ihrer Inszenierung sinnliche Bilder für die Spielarten des Begehrens, ohne es zu entmystifizieren.
Die fünf Darsteller lassen schon zu Beginn keinen Zweifel am Engagement. Nackt betreten sie die Bühne des Kosmos Theater. Weil Brustwarzen und Penisse immer noch erregen können und immer werden, ist hier die Spannung fast am größten, wenngleich auch dieser Tabubruch keiner mehr ist. „Ist das schon alles?“ wird auch schnell als Versicherung über dieses Bewusstsein in den Raum gefragt.
Der choreografierte Text vereint 6 unterschiedliche Positionen, von Schmidt in „doku-fiktionaler Feldforschung“ aus Interviews zusammengestellt. Vom jugendlichen Ausdauersport, Schönheitsidealen und dem Spiel mit Nähe, über Hetero- und Homosexualität bis zur Abgebrühtheit des Alters, in dem man alles Schöne der vorhergehenden Partner in den neuen projiziert, um dann zu erkennen, dass auch der Macken hat. Das Gender ist hier schon fast beliebig, Männer sprechen Frauenstimmen und umgekehrt. Nie haften außerdem die Bekenntnisse ihren Überbringern an; dadurch bleibt die Revue seltsam rollenlos und der Text kann poetisch allgemein tönen.
Die Frage, auf welcher Seite des Begehrens das Publikum steht, wird durch das Bühnenbild gestellt. Eine Trennwand zieht sich über einen Großteil der Bühne, und der Zuschauerraum ist zweigeteilt, sodass man erstens immer in die Gesichter der gegenüberliegenden ZuseherInnen blickt und zweitens oft nur die Hälfte des Ensembles sieht, bis die Wand löchrig wird. Eine simple und hochwirksame Konstruktion, um die Dynamik von Verstecken und Enthüllen herzustellen, von der das Begehren immer zehrt. Mithilfe von sehr angenehmen Farbgebungen aus warmem rosa/beige/orange/gelb, viel an- und ausgezogenem oder ausgestopftem Textil und präzise gesetzten Props übersetzt das vielfältige Ensemble Archetypen des Begehrens in behagliche Bildsprache, während der Text collagenhaftig ein Begehrensfragment an das andere reiht. Macht und Vertrauen kommen vor, genauso wie tirolerische Rohheit. Fast wie eine Seite voller Magazinspalten wirken die einzelnen Aussagen. Ohne das Begehren zu erklären, treffen so diverse Erlebnisse, Anekdoten und Intimitäten aufeinander. Sie umkreisen das Thema biografisch von allen Seiten.
Die schönsten Bilder der Theater-Malerei sind performativ; Gemüse, das raffiniert als kulinarische Entsprechung eingesetzt wird, oder Kleidungsstücke, durch die sich Partner verbinden. Bühne und Kostüm ergeben eine hautnahe Phantasiewelt. Die transparenten Plastikbeutel an der Wand stehen vielleicht für die neue Tinderness.
Die tolle Musik ist schon am Anfang berührend zurückhaltend, im Laufe der Zeit werden so schöne Stücke wie Palmers „I want you, but I don´t need you“ oder Jazzstandards mit Trompete interpretiert. Besonders interessant ist auch, den Musiker Imre Lichtenberger Bozoki und seine Frau Suse Lichtenberger zusammen auf der Bühne zu sehen.
Wie eine mehrstimmige Erzählung als Antwort auf die Frage, was Begehren ist, wirkt dieses Stück. Die Inszenierung geht wunderbar assoziativ vor und schichtet die Ebenen harmonisch übereinander. Sensible Momente, Ekel und Betroffenheit dürfen zum Vorschein kommen, es gibt viel Identifikationsmöglichkeit und auch abstrakte Schönheit. Dass ernste Erotik zum Konstrukt verkommt und schnell ins Extrem kippt, weil das meiste damit Zusammenhängende zur Persiflage wird, sobald es künstlerisch verhandelt wird, ist ein nüchternes Ergebnis dieses eher braven Abends. Dass auch nach 70 Minuten noch anregend verschlüsselt bleibt, wie es dazu kommt; ist wiederum tröstlich. Empfehlung.
Regie: Sara Ostertag; Bühne: Nanna Neudeck, Pia Stross; Kostüm: Mael Blau, Pia Stross; Choreografie: Martina Rösler; Musik: Imre Lichtenberger Bozoki; Dramaturgie: Anita Buchart; Produktionsleitung: Julia Haas
Hospitanz: Lisanne Berton; Mit: Christoph Griesser, Florian Haslinger, Sabine Muhar, Imre Lichtenberger Bozoki, Suse Lichtenberger, Michèle Rohrbach