Geile Aussicht – Welt kaputt
von Theater foXXfire! | Dschungel Wien | 13+ | Julia Gramm
Daniel Kessler (Benedikt Haefner) steht eines Morgens auf und findet Verwüstung vor: Bäume liegen eingestürzt auf den Straßen, kein Mensch ist zu sehen, tote Vögel bedecken den Boden. Als Daniel sich des apokalyptischen Ausmaßes seiner Situation bewusst wird, seufzt er: „Oh Gott, lass es nicht wie in einem Steven Spielberg-Film sein.“ Nach wenigen Augenblicken ergänzt er sein persönliches Horrorszenario: „Denn dann taucht jetzt gleich ein Kind auf, um das ich mich kümmern muss – und darauf hab ich echt keinen Bock!“ Mit dem Aussprechen dieses Gedanken hat Daniel es natürlich verschrien, denn wenig später steht Carla (Svenja Schmetterer) auch schon da.
Ähnlich einem klassischen Roman erzählt und kommentiert ein allwissender Erzähler (André Bauer) das Bühnengeschehen. Manchmal agiert er auch als moralisches Gewissen der Figuren, so wie hier: Daniel zögert – der Widerwille ist ihm ins Gesicht geschrieben – doch der Erzähler motiviert, scheucht und schubst ihn schließlich auf das Mädchen, sodass Carla Daniel bemerkt und sie gemeinsam weiterreisen.
Nachdem der unreife Antiheld das neunmalklugen Mädchen aufgelesen hat, trifft er auf Isa (Astrid Nowak), sein love interest, einen von ihm halluzinierten Bär, der während Daniels persönlicher Krise genau das Richtige sagt, und den Siebzigjährigen Mayer Huber, der immer etwas Weises sagt. Dass es sich bei Benedict Thills Figuren um altbekannte Stereotypen handelt, stört (vielleicht mit Ausnahme von Isa) nicht weiter, liefern sich die Charaktere doch lebhafte, temporeiche Dialoge: Thill lässt sie in einer Manier sprechen, bei der die Grenze zwischen Ernst und Spaß fließend ist. Nachdem Daniel bei einer Tankstelle getankt und Proviant für Carla und sich mitgenommen hat, erklärt das Mädchen: „Ich bin durstig.“ „Magst du einen Energy Drink?“ „Einen Energy Drink?! Du hast wirklich nicht viel mit Kindern zu tun.“ „Stimmt. Magst du lieber ein Bier?“ Die individuelle Deutung der Zuschauer*innen ist dabei spannenderweise für das Landen der Pointen egal: Unabhängig davon, ob man nun aus Anerkennung für die schlagfertige Antwort Daniels oder im Versuch, den Schock über das angebotene Getränk abzuschütteln, lacht: Man lacht.
Nach den Wirren, die das Ende der Welt, wie Daniel & Co. sie gekannt hatten, mit sich gebracht haben, findet das Stück einen erbaulichen Schluss: Die Figuren erkennen, dass ihre kleine Gemeinschaft der vermeintlich letzten Menschen wertvoll und unersetzlich ist. Würde dieser Aha-Moment in anderen Stücken kitschig wirken, wirkt diese Erkenntnis aufgrund des bis zu diesem Moment konstant doppelbödigen Texts ehrlich.
Geile Aussicht – Welt kaputt ist ein Theaterstück, der das Nachdenken über das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft anregt. Thills dynamischen und humorvollen Dialoge verschleiern dabei geschickt, dass man bei diesem Theaterabend auch etwas mitnehmen könnte.
Autor: Benedict Thill | Regie: Richard Schmetterer | Ausstattung: Caroline Wiltschek | Dramaturgie: Sandra Feiertag | Musik: Victor Weiss | Darsteller*innen: Benedikt Haefner, Svenja Schmetterer, Astrid Nowak, André Bauer | Licht: Hannes Röbisch | Fotos: Richard Schmetterer, Karin Gruber