Civitas Cunt von Chantal Dubs & Petra Schnakenberg | in Kooperation mit Kulturverein Schaumburg Österreich und Schaumburg, Verein für darstellende und bildende Künste (CH) | Dschungel Wien (Koproduktion mit Rote Fabrik Zürich) | 14+ Jahre
Christine erscheinen drei Frauen, die ihr einen Auftrag geben: Sie soll die Stadt der Frauen gründen. Diese Rahmenhandlung bietet einen lose gespannten roten Faden und referiert dabei auf zwei literarische Klassiker: Die drei Frauen erinnern an die Geister in Charles Dickens‘ A Christmas Carol, mit denen der urbane Raum und seine Auswirkungen auf Frauenleben in der Vergangenheit, der Gegenwart und einer möglichen Zukunft erkundet wird. Das Buch von der Stadt der Frauen ist eine protofeministische Utopie der Schriftstellerin Christine de Pizan, die darin eben jenen Ort und seine Bewohnerinnen beschreibt.
Herzstück von Civitas Cunt sind die detailreichen Miniaturhäuser und -städte, die von einer Vielzahl von Figuren bevölkert werden. Ihre Lebensräume werden durch Kamerafahrten (die Videoaufnahmen werden live auf eine Leinwand übertragen) erkundet. Die Stadt von heute ist grau in grau und durchzogen von phallisch anmutenden Hochhäusern und misogynen Werbeplakaten. Während der Streifzüge durch die Stadt werden Ausschnitte aus Straßenbefragungen mit Wiener:innen eingespielt. Bei jeder Antwort wird kurz bei einer Figur innegehalten, als wäre es sie, die da gerade spricht. Fragen wie „Wissen Sie, was man mit Gender Data Gap meint?“ oder „Kann eine Frau wie ein Mann sein?“ beantworten junge und alte Stimmen von Menschen aller Geschlechter mit diversen Dialekten und Akzenten mal mehr, mal weniger geistreich. Gleichzeitig zeichnen die Wiener:innen ein Bild von Frausein, dass sich dank ihrer Mehrstimmigkeit und Widersprüchlichkeit erfolgreich der Lebensrealität vieler annähert.
Der Grundriss der Stadt der Zukunft, nämlich die Stadt der Frauen, präsentiert sich als kunterbunte Vulva – Diskolichtklitoris inklusive. Als hier durch die Stadt gewandelt und weiter interviewt wird, fällt auf, dass die Menschen, die nun zu Wort kommen, wesentlich homogenere Sprachmuster zeigen: Anders als zuvor sind die Antworten beinahe schriftgetreu eingesprochen, ältere Stimmen sind nicht mehr auszumachen und die Positionen erscheinen reflektierter und im Kontext des Stücks durchwegs erwünschter. Warum man die Wiener:innen nicht mehr hört, bleibt unklar, doch diese künstlerische Entscheidung beeinflusst die Wahrnehmung der Stadt der Frauen stark. Einerseits wird so die Gemachtheit, die Künstlichkeit dieses Ortes betont. Andererseits scheint die Stadt der Frauen auf Homogenität statt Vielfalt in ihrer Bevölkerung zu setzen: Zwar sind Menschen aller Geschlechter willkommen, doch hier zu leben steht nur jenen mit einem bestimmten (sprich: größeren) kulturellen Kapital und einer bestimmten Meinung zu. Außerdem sind Personen mit Migrationsgeschichte und/oder über einem gewissen Alter ausgeschlossen.
Der begeisterte Applaus des durchwegs erwachsenen Publikums drückt Anerkennung für das Werk und seine Mitwirkenden aus. Gleichzeitig betont diese Reaktion den blinden Fleck dieser Utopie – den allerdings jede Utopie auf ihre eigene Art und Weise hat – umso mehr.
Konzept & Performance: Chantal Dubs & Petra Schnakenberg | Dramaturgie: Margrit Sengebusch | Video: Claudia Popovici | Sound: Aske Lyck Pedersen | Licht & Technik: Lilli Unger | Produktionsleitung: Sebastian Spielvogel & Ingrid Adler | Fotos: Johanna Saxen