weiter leben (c) christa bauer

Weiter leben – eine Jugend (ISKRA) ///

Geschichten überleben /// Aisha Lapitz ///

Shopping – eine Freizeitbeschäftigung, die viele gern haben. Ob Kärntnerstraße, Mariahilferstraße oder Neubaugasse – all diese Straßen und Gassen Wiens tragen ihre Geschichten mit sich. Wir sehen teilweise sehr schöne alte Gebäude, die unsere Tourist_innen bewundern. Doch es steckt noch viel mehr dahinter, mehr als wir mit den Augen sehen können. Wahre Geschichten. Ich denke an all die Menschen, die hier gewohnt haben und  deren Leben. Wie haben sie gelebt, was haben sie gefühlt? So viele Menschen und deren einzelne Erlebnisse. Wer wird sich daran erinnern, wenn sie sterben? Stirbt Geschichte aus?

Geschehnisse verdeutlichen sich und werden klar vor den Augen. Gestern Abend saß ich im Theater und sah ein Stück über ein junges Mädchen. Eigentlich ein ganz normales Mädchen, außer, dass sie Jüdin war – und zu einer Zeit geboren und aufgewachsen, in der dies nichts Gutes hieß. In dem Stück erzählte sie von ihren frühen Jahren, in denen sie dachte glücklich zu sein und von jenen, in denen sie Schreckliches erlebt hat und ihr alles genommen wurde.

Es war „nur“ eine Geschichte, es gibt wahrscheinlich tausend andere Geschichten. Geschichten von Kindern, die keine Kinder seien durften, keine normale Kindheit erleben durften wie wir diese kennen. Weil sie angeblich anders sind und waren als andere. Ich habe schon oft gesehen, dass Menschen banale Fehler mehrmals begehen, daraus entsteht für mich die Gefahr, dass diese wahren und tragischen Geschichten in Vergessenheit geraten, und somit auch wieder passieren können.

Unvorstellbar viele Menschen wurden in dieser Zeit auf die schlimmsten Arten gequält und ermordet  – und die wenig „Überlebenden“ sterben aus. Somit auch ihr Wissen und auch der Mensch als Beweis für diese Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten, die ihnen angetan wurden. Einige haben ihre Geschichten auf Papier gebracht, damit wir nie vergessen. Selbst wenn wir nicht alle dabei waren, müssen wir uns das in Gedanken und vor Augen halten und aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, um zusammen eine bessere Zukunft zu gestalten.

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Fragen ohne Lösungsvorschlag /// Franziska Lamp ///

Man muss flüchten. Manchmal gibt es einfach Situationen, da muss man flüchten. Manchmal gibt es Ereignisse, die man nicht wahrhaben will, Geräusche, die man nicht hören möchte. Das kann ein Kind sein, das den lautstarken Streit seiner Eltern nicht mehr erträgt und sich unter Ohren-zu-halten sein Lieblingslied vorsingt, oder – ein KZ-Insasse, der beim Appellstehen in sengender Mittagshitze Gedichte aufsagt.

Auch wenn die Situation nicht dieselbe ist, auch wenn heute zum Glück keine Menschen in Österreich solches Leiden erleben, wie es Ruth Klüger, die Autorin des wunderschönen Romans „Weiter Leben – eine Jugend“ erlebt hat; die Grausamkeiten, die den Gefangenen damals angetan wurden, verfolgen jede_n, die/der sich zumindest ein wenig für Geschichte interessiert.

Hoffentlich werden sie nicht vergessen. Hoffentlich bleiben die Erniedrigungen, die Qualen, die diese Menschen durchmachen mussten und von denen ich Gott sei Dank überhaupt keine Vorstellung habe, in unserer Erinnerung bestehen. Das Erste, was ich mich frage, und was sich vermutlich jede_r fragt,  die/der von solchen Dingen, solchen Ereignissen hört, ist, warum denn damals niemand etwas dagegen unternommen hat?

Doch denken wir einmal an uns. Überlegen wir, ob wir gegen alle Dinge, die wir mitbekommen und als furchtbar erachten, etwas tun. Ob wir wirklich anderen Menschen helfen, wenn sie dringend unsere Hilfe bräuchten. Interessieren wir uns überhaupt für deren Probleme? Oder schauen wir einfach ganz artig jeden Abend „Zeit im Bild“, saugen die Informationen wie Schwämme auf (oder auch nicht) und vergessen dann kurz danach wieder, was  eigentlich los war. „Das haben wir ja alles nicht so mitbekommen“ – ist dann oft die Antwort.

Aber wie konnte es sein, dass so viele nicht bemerkten, was mit den Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung passierte? Andererseits, was sollte man schon dagegen tun, wenn man es mitbekam? Was konnte man als „winzig kleiner“ Mensch gegen Diktaturen, unfassbares Elend und Gewalt ausrichten, wenn man doch immer Angst hatte, dass es einen auch selbst treffen könnte?

Wir können humanitäre Katastrophen nicht vorbeugen, das hat man erst letztens wieder gesehen. Was wir können, ist für die Betroffenen spenden und ihnen helfen, eine neue Existenz aufzubauen. Keine Angst, das soll hier kein Spendenaufruf werden! Auch das hat ja bekanntlich mehrere Seiten. Denn man muss sich immer fragen: geht es einem tatsächlich um den Endzweck, um des „Spendens-willen“? Oder spielt dabei auch stets das eigene schlechte Gewissen, das „Sich-gut-fühlen“ im Nachhinein eine Rolle? Andererseits wäre es komplett egoistisch nichts zu tun. Oder? Wie kann man die Tatsache rechtfertigen, dass manche Menschen  ein schönes, selbstbestimmtes, sozial, wirtschaftlich und politisch sicheres Leben führen dürfen und andere, nicht weniger intelligente, nicht weniger attraktive, keine solche Chance bekommen?

All diese Gedanken schwirrten mir im Kopf herum, als ich das von VeroNika Sommeregger inszenierte und von Franziska King und Anne Wiederhold dargebotene Stück „Weiter leben – eine Jugend“ im DschungelWien sah. Probiert es aus, vielleicht erzielt es bei euch dieselbe Wirkung?

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Gedichte als Rettung /// Melanie Hofmann & Jasmin Cestnik ///

Das Stück „Weiter Leben – eine Jugend“ basiert auf Ruth Klügers Autobiographie, die sie 1992 veröffentlichte. Es erzählt von Ruth Klügers Kindheit in den 1930er Jahren. Sie wuchs als jüdisches Mädchen mit Mutter und Vater in Wien Neubau auf. Schon als Kind musste sie mit den immer schlimmer werdenden Zuständen fertig werden, die der Einmarsch der Deutschen in Wien mit sich brachte. Ruths Vater schaffte es nach Italien zu flüchten und machte den Fehler, nach Frankreich weiter zu reisen. Während der Vater auf der Flucht war, wurden Ruth und ihre Mutter nach Theresienstadt gebracht. Von dort wurden sie dann nach einigen Monaten weiter nach Auschwitz-Birkenau und Christianstadt transportiert.

Anders als das Buch endet das Stück mit der Auswahl, wer in das Arbeitslager kommt, und wer nicht. Aufgeführt wurde das Ganze von Anne Wiederhold und Franziska King, zwei jungen Schauspielerinnen. Beide verkörpern Ruth Klüger, was am Anfang des Stückes nicht ganz klar ist. Diese bildliche Metapher soll verdeutlichen, wie sie selbst mit ihren unterschiedlichen Meinungen zu kämpfen hatte: „Ich habe Theresienstadt geliebt. Ich habe Theresienstadt gehasst“, wäre ein Beispiel.

Das einzige, womit sich Ruth aus der brutalen Realität rettet, sind ihre auswendig gelernten Gedichte. Einen starken Eindruck hinterließ die bereits kurz erwähnte Szene bei der Auswahl ins Lager. Ihre Mutter hatte das perfekte Alter, um in ein Arbeitslager zu kommen. Ruth allerdings war drei Jahre zu jung. Um nicht getrennt zu werden, befahl ihr die Mutter zu lügen und zu sagen, dass sie 15 sei. Sie war sich nicht sicher, ob sie es schafft, diese Lüge zu erzählen. Unsicher und ohne Mut wartete sie auf ihr Schicksal. Sie erblickte eine junge Frau, die dort an der Schreibmaschine positioniert war. Langsam kam diese auf Ruth zu und sagte ihr: „Sag, dass du 15 bist!“ Diese Frau versuchte sie zu retten und Ruth spürte das. Sie schaffte es, diese Lüge glaubhaft zu sagen und wurde auf die Liste der Personen gesetzt, die in das Lager kommen.

Anders als in jedem Geschichtsbuch erfährt man nicht nur Informationen, sondern auch wie Kinder mit diesen Situationen umgegangen sind. Das Stück regt nicht nur an, das Buch zu lesen, sondern auch, sich mit dem Thema auseinander zu setzen.

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Theaterbesuch im Zuge des Workshops: 23.05.2013 – Dschungel Wien

Autorin: Ruth Klüger; Regie: VeroNika Sommeregger; Textfassung: Hubertus Zorell, Pete Belcher; Bühne: Peter Ketturkat; Kostüme: Verena Vondrak; Darstellerinnen: Franziska King, Anne Wiederhold

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Workshopleitung: Aslı Kışlal, Heinz Wagner; Organisation: Nora Safranek; In Kooperation mit

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Danke für die Unterstützung:

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Von Nora

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