„Zeensucht“ (Melika Ramic & Motschnik) ///
Eine Sehnsucht nach mehr im Meer /// Tomáš Mikeska ///
Am Sonntagabend wurde die leere Rinderhalle in St. Marx für 50 Minuten zum weiten Meer. Ein Pfahl in der Mitte zur Bühne und eine junge Frau – dargestellt von Nele van den Broeck – zum Mittelpunkt des Geschehens eines Stücks, das es schafft, im Großen und doch auf kleinstem Raum seinen Titel zu versinnbildlichen, wie zurzeit kein anderes Werk.
In ruhigen Bildern lässt Melika Ramic das Gefühl von Sehnsucht entstehen. Dramaturgisch ansteigend, wie ein sich anbahnendes Unwetter und doch anfangs unbemerkt, wie die Sehnsüchte der Protagonistin und ihrer kleinen Welt. Einer Welt, in der ihre Gedanken ein Teil des Meeres (Zee) sind und sie diese deshalb mit einem Pinsel blau färbt und mit dem Meer teilt, bzw. gar zum Zee werden lässt – visuell zumindest. Denn erst durch die blaugefärbten Zettel, die das Mädchen auf dem Pfahl herabrieseln lässt, entsteht ein symbolisches Bild vom Meer. Gefühlstechnisch jedoch ist das Weite des offenen Meeres in Form der leeren Rinderhalle von Anfang an da und wird mit Einspielungen von sich brechenden Wellen und leisem Möwengesang unterstützt und zum harmonischen Bild der Sehnsucht geformt.
Ein einsames Spiel der Protagonistin, die einen Fisch fängt, diesen ebenso blau färbt, die Stille der Einsamkeit auf dem Pfahl mit Tonbandaufnahmen zersägt und mit einem Strickseil ins Weite blickt oder auch lauscht, fügt sich in das Gesamtkonzept stilsicher hinein und bedarf dafür nicht mehr Worte als der ihres Liedes: „Es gibt mehr im Meer“.
Kindlich, sehnsüchtig, einsam und unfassbar groß scheint alles zu sein, was das Stück kommentarlos hervorruft und lässt die Fragen, die die Sehnsucht mit sich bringt, unbeantwortet: Wann treibt die Sehnsucht uns weiter – wie ein Boot ins weite Meer – um mehr zu entdecken? Wann hört man auf, seine Gedanken ins Blaue hinein zu senden? Oder wann verlässt man den Ort der Sicherheit und folgt seinen Sehnsüchten? Vielleicht wenn das Herz mit der Sehnsucht schwingt, wie bei dem Mädchen auf dem Pfahl und dem unbekannten Reisenden, der ihren Blick streift. Vielleicht auch erst, wenn ein flüchtiger Augenblick, eine Begegnung, die Sehnsucht erfassbar macht. Oder vielleicht erst, wenn die Sehnsucht so groß wie das weite Meer ist und zu Zeensucht wird. Keine Antwort spült das Meer in St. Marx ans Ufer, aber lässt sie zumindest spüren – die Zeennsucht. Eine feine Kunst, wie wahr.
weitere Kritiken:
Was die Sehnsucht ist, ist wie das Meer /// Sara Schausberger
Es gibt noch immer mehr im Meer… /// Reinhard Strobl
Premiere: 26.9.2010 Meierei Hoyos, Horn – Motschnik
weitere Spielorte: Rinderhalle St. Marx – Ehemalige Anker-Expedithalle
Idee & Konzept: Melika Ramic, Nele van den Broeck, Marieke Breyne; Regie: Melika Ramic; Assistenz: Marieke Breyne; Spiel: Niele van den Broeck, Thomas Malirsch