„Faust. Wie viel böses braucht ein Mensch?“ (Dachtheater & Dschungel Wien) ///

Den Stadtneurotiker im Faust entdeckt /// Tomáš Mikeska ///

Die Abscheu vor Pflichtlektüre aus der Schulzeit lässt sich beherrschen. Auch bei einem Stück, dessen Name schlagartig an ein geballtes Stück Literaturgeschichte denken lässt. Faust. Ein Stück über das Leben, Gott und die Welt. Oder eher ein Stück des Lebens, über den Teufel und den Tod dieser Welt. So und nicht anders begegnet uns Goethes Werk im Dschungel Wien auch.

Beschrieben als eine Mischung aus Schauspiel und Figurentheater verspricht Jörg Schwahlens Inszenierung  damit möglicherweise mehr Jugendanspruch als dann doch tatsächlich  vorhanden ist. So dient diese wunderbare Vermischung keines Falls einer experimentellen Vereinfachung für junges Publikum, sondern  alleine dem Werk an sich und somit einer tieferen Positionierung der zu darstellenden Figuren, einem definierenden Symbolismus im Zwischenspiel der komplexen Rollen, sowie einem direkten Verweis auf unseren oftmaligen Marionetten Charakter, aber vor allem auf den von Faust und Gretchen. Schön und abwechslungsreich ist es nebenbei.

Den Höhepunkt der Inszenierung stellen jedoch die beiden Darsteller Cordula Nossek und Frank Panhans. Über die gesamte Dauer von 90 Minuten hinweg leben sie ihre Rollen ohne dabei die Natürlichkeit zu verlieren. Sehr reif, klar und routiniert in ihrem Spiel schaffen es die beiden auch durch das konstante Zwischenspiel des Figurentheaters problemlos in und aus den jeweiligen Rollen zu schlüpfen, sowie die Tragödie stets auf den Punkt zu bringen und das bis zum bitteren Ende.

Zeigt sich die gesamte Inszenierung bis dahin wie Yin und Yang, sprich schwarz und weiß mit weiß und schwarz in sich geschlossen – vom geradlinigen Bühnenbild, über die Kostüme, bis hin zu den geistreichen Dialogen, erreicht das Spiel an seinem Höhepunkt eine neue Färbung. In rotes Licht gehüllt und zu den eindringlichen Klängen von Portishead verwandelt sich die Bühne vom Spielort zur inszenierten Emotion, die einen unberührt nicht lassen kann. So sind es keine Bademäntel und keine Kindesjacke mehr, die da frei auf der Bühne hängen sondern sie, die Ermordeten, die Mutter, das Kind sowie der Bruder und plötzlich spürt man sie auch – die Opfer.

Eine einfühlsame Inszenierung des „Dachtheaters“, die es sogar schafft Goethe den Analytiker Woody Allen und Faust somit den Stadtneurotiker unserer Zeit gegenüber zu stellen. Anspruchsvoll und doch verspielt. Mefisto sei dank.

Premiere 31.1.2012  – Dschungel Wien – Dachtheater Info

Regie: Jörg Schwahlen; Bühne: Gernot Ebenlechner; Lichtdesign: Hannes Röbisch; Darsteller_innen: Cordula Nossek, Frank Panhans

Von paul

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