Szene Bunte Wähne Tanzfestival 2014 ///
Beängstigende schöne Welt /// Sara Schausberger ///
Keine Angst vor schwierigen Themen hatte man beim 17. Internationalen Szene Bunte Wähne Tanzfestival. Und das war gut so!
Wie ist das, wenn die Welt viel zu dunkel ist um darin Kind zu sein? Von der Decke tropft Wasser, die Bühne ist in Nebel gehüllt und das Essen kommt aus Konservendosen, die am Gaskocher erwärmt werden. Die Erwachsenen können einen nicht wirklich auffangen, nicht wirklich halten. Da ist ein sich Festhalten wollen, da ist aber niemand, der einen lässt.
In „Rau/Rauw“ (ab 8 Jahren) der belgischen Gruppe kabinet k wird eine dunkle und düstere Welt beschrieben. Sieben Kinder, zwei Tänzer und ein Musiker gehen der Frage nach, wie man sich trotzdem so etwas wie Kindheit bewahren kann. Das Ambiente ist schäbig, es herrscht Outlaw-Stimmung. Ein Musiker spielt auf seiner E-Gitarre dunkle, elegische Töne. Immer wieder klammern sich die Kinder an die beiden erwachsenen Tänzer, die sie dann abschütteln und wegstellen. Es ist ein exakt getanztes Wechselspiel aus Liebe und Gewalt, das durch seine melancholische Ästhetik besticht. Vor allem aber bewegt und beeindruckt die zeitgenössische Tanzperformance der Kinder (Choreographie: Joke Laureyns und KwintManshoven).
„Rau/Rauw“, das Eröffnungsstück des diesjährigen Szene Bunte Wähne Tanzfestivals, war wahrscheinlich die herausragende Performance des Festivals, das heuer zum 17. Mal in Wien stattfand. Fünf Tage lang (von 27.2. – 3.3.) wurden an den Spielorten Dschungel und WUK Tanz- und Performance-Stücke für Kinder und Jugendliche gezeigt. „Das Me(e)hr in mir“ lautete das diesjährige Motto des Tanzfestivals. Gemeint war das Meer als Sehnsuchtsort, aber auch das Mehr als Symbol für den Wunsch über sich selbst hinauszuwachsen. Das Internationale Szene Bunte Wähne Tanzfestival hat sich über die Jahre durch seine Auswahl an zeitgenössischen Tanz- und Performance-Stücken für ein junges Publikum etabliert und auch dieses Jahr waren beachtliche Produktionen zu sehen.
Überraschend komisch, klug und berührend war die Performance „TRASHedy“ (ab 10 Jahren), die Umweltschutz und Selbstreflexion zum Thema hat. Das zeitgenössische Stück ist eine Aufforderung die Welt zu verändern, ohne dabei belehrend zu sein. Zu Beginn wird mit einer Choreographie aus vier Händen und Geräuschen wie Wasserrauschen und Flügelschlagen die Evolutionsgeschichte nacherzählt. Daniel Mathéus‘ und Leandro Kees‘ Hände werden zu Krabben, Fischen, Wasserschlangen, dann zu einer davonfliegenden Möwe. Technik und Mechanik nehmen überhand, tänzerisch wird von Computern, U-Bahnfahrten und Fastfood erzählt. Die Musik dazu ist elektronisch, die Geräusche stammen von Autos, Flugzeugen und Motorsägen. „TRASHedy“ ist eine gute Mischung aus laut und leise, aus Information und Witz. Es ist ein wütendes Stück auf unsere Welt, die viel zu verschwenderisch mit ihren Ressourcen umgeht. Animationen begleiten das Spiel der beiden Performer, toll sind zum Beispiel die gezeichneten Animationen der Herstellungsprozesse unserer Hosen, Schuhe und Smartphones. Sehr einfache, aber effektive Bilder werden gemalt und es verwundert nicht, dass die Performance, eine Koproduktion von Performing Group und dem tanzhausnrw, den Westwindpreis gleich in zwei Kategorien gewonnen hat.
Warum man die Produktion „Wild thing“ (ab 6 Jahren) zum Tanzfestival eingeladen hat, lässt sich, vor allem auf Grund der hohen Qualität aller anderen Stücke, nicht wirklich nachvollziehen. Das niederländische Mädchenpower-Stück ist mehr Effekteshow als Theater. Sechs Mädchen in Schuluniformen (!) müssen nachsitzen und verbringen diese Stunde – eine Uhr auf der Bühne zählt die Schulstunde mit – tanzend, singend und vor allem Rhythmen schlagend á la Stomp. Interessanter als so, wird es nicht.
Im Gegensatz dazu das Tanzstück „ROSES einsam.gemeinsam.“ (ab 14 Jahren), eine Zusammenarbeit des Berliner Theater Strahl, der niederländischen Tanzgruppe De Dansers und dem Szene Bunte Wähne Festival. Die Briefe und Tagebücher der Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ waren die Inspiration für das Tanzstück mit Livemusik. „ROSES“ könnte kitschig sein, kratzt aber die Kurve. Sehr ästhetisch wird von Widerstand und Mut erzählt. Die Tänzer und Tänzerinnen tragen chromophobe Farben, zu große Hemden und schlenkernde Hosen. Gitarrenmusik, Gesang und Klavier begleiten die Bewegungen der Tänzer_innen, die hinfallen und wieder aufstehen, die davonlaufen und gestoßen werden, die sich tragen und halten. Eine konzentrierte und schöne Arbeit, die als Kooperation zwischen einem Theaterhaus und einem Festival entstanden ist, genau wie „Love Songs“ (ab 14 Jahren), das letztes Jahr im Rahmen von Impulstanz in Zusammenarbeit mit dem Dschungel Wien entwickelt und uraufgeführt wurde. In der Choreographie des belgischen Choreographen Ives Thuwis stehen Jugendliche auf der Bühne. Der Titel ist programmatisch, sieben Jugendliche (drei Burschen und vier Mädchen) behandeln und betrachten, während es Liebeslieder spielt, die romantische Liebe von allen möglichen Seiten. Sie tanzen die Liebe, sie sprechen über die Liebe, sie kommen sich nahe und gehen auf Distanz. Die jungen Tänzer_innen machen das gut, trotzdem bleibt das Gefühl zurück, da wurde das Potenzial nicht ausreichend ausgeschöpft.
Sehr passend für das Programm eines Tanzfestivals für Kinder war das norwegische Tanzstück „Die Jury“ (ab 6 Jahren) der Choreographin Hege Haagenrud, in dem Kinder bestimmen, wie eine Kindervorstellung zu sein hat. Zwei Tänzerinnen tanzen sehr klassisch, sehr hübsch zu ästhetischen Schwarzweiß-Filmen von Wäldern, Seen und Schneelandschaften, als sich über Video mehrere Kinder einschalten und einfordern, dass das ganze interessanter zu sein hat. Sie stellen sich die Frage, was da auf der Bühne passiert und warum die das so machen. Die Idee des Stücks ist simpel und funktioniert. Die Kinder fordern ein, was sie sehen wollen, die Tänzerinnen setzen es um: Sie sollen bunte Kleider tragen, das Publikum freundlich anlächeln, eine Geschichte erzählen, jemand soll sich verlieben, jemand soll sterben und dann doch nicht tot sein. Der Blick der Kinder ist skeptisch, ihre Kritik ehrlich: „Das war vielleicht ein bisschen typisch“.
Die Tanz- und Performanceszene lebt vom internationalen Austausch, ein Festival wie das Szene Bunte Wähne Tanzfestival ermöglicht einen solchen Austausch auch für den Kinder- und Jugendtheaterbereich. Schade nur, dass die finanzielle Lage ein mehr an Gastproduktionen nicht möglich macht. Dass nicht genug Geld da ist, merkt man schon allein daran, dass das Festival im Vergleich zu früher nur wenige Tage lang dauert und auch nur eingeschränkt Stücke zeigen kann. Reine Tanz- und Performancefestivals für ein junges Publikum gibt es international kaum, insofern macht die Etablierung eines solchen durchaus Sinn. Die Szene innerhalb Österreichs ist klein und gerade die Gruppen aus Belgien und Holland beweisen von Jahr zu Jahr ihre beeindruckende und professionelle Arbeit mit Kindern und Jugendlichenfür ein junges Publikum. Es ist schön, wenn ein Festivalbetrieb den Blick erweitert und einem Stücke zeigt, wie man sie selten zu sehen bekommt.
Das Programm des 17. Internationalen Szene Bunte Wähne Tanzfestivals, bei dem auch noch die Produktionen „Mein kleines Meer“ und „Ente, Tod und Tulpe“ gezeigt wurden, war – typisch – spannend und gut. Vor allem, weil es mutig schwierige Themen auf die Bühne brachte. Denn Kinder, wie es in „Die Jury“ heißt, interessieren sich auch für dunkle Angelegenheiten.
Szene Bunte Wähne Tanzfestival: von 27.02. – 03.03.2014 – WUK – Dschungel Wien